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Zukunftsmusik: Unsere Gesprächsreihe mit ZukunftsgestalterInnen.
Professional Campus im Gespräch mit Zukunftsgestalterin Marion King, Gründerin von Les Enfants Terribles in Berlin.

"Gute Arbeit" hängt mit planetaren Denken und Selbstwirksamkeit zusammen

"Wenn man New Work zu Ende denkt, kommt man automatisch auf Fragen des Miteinanders, der Sinnhaftigkeit, der Umwelt, der Verantwortung."

Für unsere Reihe mit ZukunftsgestalterInnen sprachen wir mit Marion King: Welche Schlüsse zieht die Organisationsexpertin und New-Work-Spezialistin nach fünfzehn Jahren Praxisreflexion? Mehr als innovative oder „Neue“ Arbeit geht es ihr um „Gute“ Arbeit. Und das hat Implikationen im Hinblick auf Verantwortungsübernahme und Selbstwirksamkeit.

 

Liebe Marion, seit unserem letzten Gespräch sind fast zwei Jahre verstrichen – und viele gemeinsame Unternehmungen zustande gekommen: Du bist eine wichtige Impulsgebende beim Witten MBA und spielt eine entscheidende Rolle bei der SWITCH Bewegung für planetare Bildung, welche im Herbst 2023 in Witten lanciert wurde.

Kürzlich ist Dein Buch Gute Arbeit! — Eine Anstiftung zur Selbstwirksamkeit’ erschienen.
Höchste Zeit für eine Zwischenbilanz!  
Hat sich Dein Blick inzwischen geändert, merkst Du einen Wandel bei den Menschen und Organisationen, die Du begleitest?
Marion – Nach diesen zwei Jahren seit unserem Gespräch oder eigentlich sogar nach gut zehn Jahren Arbeit zum Thema “New Work” würde ich sagen, dass wir immer noch am Anfang einer möglichen Veränderung unserer Arbeitswelt stehen. Es ist immer noch eine Pionierzeit. Mein Buch, das in den kommenden Monaten erscheint, war ein guter Anlass, um genau darüber nachzudenken, darüber, wie die Situation vor etwa zehn Jahren war und was sich zwischenzeitlich getan hat. Ich fand, dass es zu Anfang der “New Work”-Bewegung eine große Begeisterung für das Thema, wenn nicht sogar eine Euphorie und vor allem auch eine Verbundenheit unter den Akteur:innen gab. Diese Energie hat sich leider gelegt oder verlagert. Einige Weggefährt:innen haben sich einfach auch inhaltlich in andere Richtungen oder Vertiefungen entwickelt, beschäftigen sich beispielsweise stärker mit regenerativen Wirtschaftsmodellen – was natürlich super ist.
Auch wenn es noch ganz schön viel zu tun gibt, gibt es doch eine Vielzahl an Menschen und Organisationen, die sich in den letzten Jahren auf den Weg zu einem zeitgemäßen und zukunftsfähigen Arbeiten gemacht haben. Die Entwicklung hin zu mehr Selbstorganisation, zu agileren und partizipativeren Arbeitsformen ist in vielen Unternehmen zum Selbstverständnis geworden.

 

Betrachtest Du den aktuellen Entwicklungsstand in Organisationen als eine vertane Chance?
Ich finde, es ist schade, dass vor allem die Erfahrungen aus der Corona-Zeit nicht für grundlegendere Veränderungen gesorgt haben. Obwohl den meisten klar war oder ist, dass wir etwas ändern müssten, wird vielerorts weiter gearbeitet wie vorher – gerade auch in der Pflege. Die einzig nennenswerte Veränderung nach Corona sind gerade noch home-office-Regelungen. An der Stelle haben nicht nur die Unternehmen oder Organisationen, sondern auch die Politik versagt. Es wäre eine wirklich gute Chance gewesen. Aber Transformation in Polykrisen-Zeiten wie diesen ist auch nicht ohne und geht vor allem nicht qua Dekret oder auf Knopfdruck. Man braucht dafür auch Wissen und Expertise in Organisationsentwicklung. Ich finde, dass genau dieses Know-How an vielen Stellen fehlt. Wir Berater:innen sind zu sehr ein Bypass; unser Wissen, unsere Erfahrungen müssen mittenrein in die Organisationen, in die Mitarbeitendenschaft.
Und leider beobachte ich, dass viele Unternehmen gerade in den aktuellen Krisen- und Kriegszeiten auch wieder in alte Verhaltens- und Arbeitsmuster zurückfallen, in “künstliche” Hierarchie, in Top-down und in den Ansagemodus, weil sie glauben, dass ihnen das mehr Sicherheit gibt. DAS glaube ich ja nicht.
Vielleicht braucht man, brauche ICH auch einfach viel mehr Geduld. Man muss das ganze als einen Prozess begreifen. Und DER hat definitiv begonnen.

 

Viele jüngere Menschen sind nicht mehr bereit, in gewöhnlichen Organisationen zu arbeiten. Vielleicht wird die neue Generation zur Impulsgeberin, indem neue Ideen in Organisationen hineingebracht werden?
Da liegt auf jeden Fall viel Potential. Ich finde, wir sollten den jüngeren Generationen gut zuhören und von ihnen lernen! Diese jungen Menschen sind ja nicht faul oder arbeitsscheu, sondern haben sehr wohl gute Gründe so zu denken und zu handeln wie sie das aktuell tun. Ganz abgesehen davon finde ich, dass diese Generationen in der aktuellen Debatte viel zu sehr über einen Kamm geschert werden; denn auch dort gibt es ganz unterschiedliche “Fraktionen”. Nach wie vor gibt es diejenigen, die ganz klassisch Karriere machen, ein Häuschen kaufen und eine Familie gründen wollen. Es gibt die, die einfach nur einen Job machen und Geld verdienen wollen. Und dann gibt es die, die sich verwirklichen, die sich finden wollen und für die Arbeit nicht wirklich das Wichtigste im Leben ist. Und es gibt viele jüngere Menschen, die aktuell völlig ratlos sind, die ihren Weg so gar nicht finden. Auf jeden Fall stellt sich aber gerade für viele die Frage: Wie will ich überhaupt mit Arbeit umgehen? Das ist kein Wunder: Sie sehen ihre Eltern, die durch die Rackerei der letzten Jahre auch nicht wirklich glücklich(er) geworden sind. Aber ein Großteil der Unternehmen funktioniert eben immer noch nach alten Prinzipien von Macht, Gegeneinander und Höher-schneller-weiter. So wirklich erstrebenswert ist das ja alles nicht. Und auch gleichzeitig hinterlassen wir den Jüngeren eine kaputte Erde, um die sie sich jetzt kümmern müssen. Es ist kein Wunder, dass das eine “wütende Generation” ist.

 

Du hast gemeinsam mit Sebastian Benkhofer und Team die Bewegung SWITCH lanciert. Wie schlägst Du die Brücke zwischen New Work und einem Bewusstsein für planetares Denken und Handeln?
Wenn man “New Work” zu Ende denkt, kommt man automatisch auf Fragen des Miteinanders, der Sinnhaftigkeit, der Umwelt, der Verantwortung. Es erfordert einen Perspektivwechsel, der bei planetarem Denken erweitert wird und nicht nur das unmittelbare Umfeld der Organisation, sondern das Zusammensein mit allen Lebewesen und natürlich die Erde einschließt.
In diesem Projekt habe ich gemerkt, dass das eine ganz schön anspruchsvolle Perspektive ist – vor allem in der Umsetzung: Was heißt das denn jetzt konkret? Wo fange ich an? Aber egal ob im Privaten, in der Organisation oder in der Nachbarschaft – es geht darum, eine andere Haltung einzunehmen.

Frederic Laloux, der wesentlich zum Erfolg und zur Praktikabilität von New Work in Organisationen beigetragen hat, ist auch ein prominentes Beispiel für einen Übergang von New Work hin zu Fragen rund um den Planeten… Hat New Work mit einer besonderen Haltung zu tun?
Unbedingt. Nicht ohne Grund habe ich für mein Buch den Titel ‘Gute Arbeit!’ gewählt. Das ‘new’ von “New Work” hat ja erstmal keine Qualität. Es ist eben einfach “nur” “neu”. Was für mich viel mehr in den Fokus gerückt ist, ist Verantwortlichkeit, die verantwortliche Organisation. Verantwortung ist eine Qualität, hat mit ethischen Betrachtungen zu tun – Verantwortung zu übernehmen, ob gegenüber Mitmenschen, unserer Erde und auch für sich selbst: das hat Implikationen.

 

Das ist sehr spannend, weil Verantwortung ein besonders wichtiges Thema hier in Witten ist…
Absolut! Ich merke, gerade nach den letzten Monaten in Kooperation mit der Universität Witten/Herdecke und der Beschäftigung mit dem Thema planetares Denken und Handeln, dass dieses Thema für mich eine Wichtigkeit erfährt.

 

Was braucht man, um Verantwortung zu übernehmen? Die Erfahrungen nach SWITCH zeigen, dass es nicht selbstverständlich ist und in vielen Situationen eine große Kraft braucht… Gibt es gewisse Konstellationen oder Positionen in der Organisation, in denen es einfacher ist, verantwortungsvoll zu handeln? Oder ist es eher eine Typ-Sache?
Natürlich haben Führungskräfte in Organisationen qua Position eine andere oder mehr Verantwortung und einen anderen Gestaltungsraum und Möglichkeiten als “normale” Mitarbeitende. Es ist auch einfach ihre Pflicht, verantwortlich zu handeln – finde ich. Je mehr “Verantwortlichkeit” ein Thema der ganzen Organisation ist, also ein Haltungs- und Wertethema, desto einfacher ist es natürlich für die einzelnen Menschen, sich dazu zu betätigen und zu engagieren.
Aber grundsätzlich ist es so, dass wir ALLE unseren Wirkkreis und damit Gestaltungsmöglichkeiten haben. Wir alle, jede:r von uns kann IMMER eine Wirkung erzielen. Man nennt es: Selbstwirksamkeit. Das ist auch die Grundidee meiner Initiative Les Enfants Terribles genau das zu unterstützen. WIR ALLE sind nämlich die Arbeit. Und damit sind wir alle zuständig für eine gutes Arbeiten und Zusammenarbeiten. Es geht darum, dass wir Verantwortung übernehmen für unser tägliches Leben, auch (aber übrigens nicht nur) für unsere Arbeit.
Das Konzept der Selbstwirksamkeit geht auf den kanadischen Psychologen und Lernforscher Albert Bandura zurück: Er sagt, dass jede:r jederzeit und immer selbstwirksam IST. Es handelt sich weder um eine Kompetenz noch um eine angelernte Fähigkeit, sondern es ist etwas, worüber wir alle verfügen. Leider nehmen wir das manchmal nicht so wahr oder es gibt Situationen, in denen die eigene Selbstwirksamkeit geschwächt ist, aber im Prinzip können wir alle selbstwirksam handeln. Die Selbstwirksamkeit können wir z.B. durch gute Vorbilder oder durch Verbündete stärken. Entscheidend ist es, ins Erleben zu kommen, Dinge auszuprobieren und gute Erfahrungen zu machen; das stärkt unser Gefühl der Selbstwirksamkeit.

 

Ein sehr spannender Gedanke: Es braucht nicht unbedingt die Führungskraft, die etwas anstößt, man hat es selbst in der Hand…

Genau, man braucht sie nicht zwingend dafür. Man kann auf jeden Fall immer etwas tun, verändern. Und, wenn es nur im eigenen Umfeld, mit den Kolleg:innen, im Team ist. Notfalls ist dieses Verändern vielleicht auch, dass man kündigt und sich einen besseren Ort fürs Arbeiten sucht.
Aber, wenn man bleibt, ist es auf jeden Fall gut, sich Verbündete zu suchen. Das knüpft an die Frage an, wie eine Bewegung eine Dynamik entfalten kann. Bei SWITCH haben wir uns natürlich auch mit Grassroots-Bewegungen auseinandergesetzt, ein ganz schön komplexes Thema. Aus der eigenen Praxis – seit gut zehn Jahren habe ich ja eine eigene “New Work”-Community – beschäftige ich mich mit der Frage: Wer gibt Energie rein, welche Form nimmt sie dann an und was braucht eine solche Struktur, um Beständigkeit, aber vor allem auch Aktion zu erfahren.
Eine Community ist auf jeden Fall ein großartiger Resonanz- und Erfahrungsraum, man erfährt gegenseitige Stärkung. Ich kann jede:n nur dazu ermutigen, eine Community of practice zu finden oder zu gründen; ob innerhalb oder außerhalb der eigenen Organisation. Es muss ja nichts Formales sein. Am besten ist eh, sie beruht auf Freiwilligkeit und freiwilligem Engagement. Und es muss auch keine große Initiative sein – eine Handvoll Gleichgesinnter kann schon einen ganz schön guten Unterschied machen.

 

Abschließend und mit Blick auf die Zukunft: Was können Organisationen für eine bessere Gesellschaft, vielleicht sogar für eine bessere Welt, leisten?
Was wirklich gut wäre: dass sie sich eben als eine verantwortungsvolle, eine verantwortliche Organisation begreifen. Das heißt, dass sie sich mit den Konsequenzen ihres Handelns, ihres Wirtschaftens auseinandersetzen. Und nicht die Augen verschließen und sich vor allem nicht nur auf Gewinnmaximierung fokussieren. Es geht darum, sich bewusst zu machen, was man in und mit dieser Welt tut. Die spannende Frage ist dabei, wem nutzt oder wem soll es nutzen, was wir tun? Nur den Gewinnen und den Anteilseigner:innen? Oder eben allen Menschen, allen Partner:innen, die mit der Organisation verbunden sind, und unserer Welt. DAS zu denken und danach zu handeln, würde uns unweigerlich in Richtung “neues Wirtschaften” führen…

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01.10.2024
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