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Zukunftsmusik: Unsere neue Gesprächsreihe mit ZukunftsgestalterInnen.
Sebastian Benkhofer im Gespräch mit Zukunftsgestalter Prof. Uwe Schneidewind

"Das 21. Jahrhundert ist das erste, in dem alle Menschen die Chance auf ein freies und würdevolles Leben haben."

Für unsere neue Reihe mit ZukunftsgestalterInnen sprach Sebastian Benkhofer, Leiter Professional Campus und geschäftsführender Direktor WittenLab an der Universität Witten/Herdecke, mit Prof. Uwe Schneidewind.
Über Selbstwirksamkeit und Transformation; über Zukunftskunst – und die Kunst gesellschaftlichen Wandels.

 

Herr Schneidewind, Mitte 2020 sind Sie von Ihrer Tätigkeit am Wuppertal Institut  in das Amt des Oberbürgermeisters der Stadt Wuppertal gewechselt. Was heißt das für Sie persönlich in puncto Transformation: Inwieweit hat Sie dieser Schritt verändert, Ihre Anpassungsfähigkeit gefordert? Oder vielleicht: Haben Sie neue Facetten von sich selbst neu entdecken müssen?

Das Oberbürgermeisteramt ist vermutlich eine der intensivsten Formen der Selbst-Konfrontation: Mit einem Schlag wird man täglich von über 360.000 Menschen beobachtet und im eigenen Auftreten begleitet und kommentiert – in persönlichen Gesprächen, in Medienberichten und -kommentarten und auf Social Media. Dabei geht es nicht nur um einen als Person, sondern natürlich auch um viele Projektionen, die die Rolle des Oberbürgermeister als dem sichtbarsten politischen Repräsentanten der Stadt betreffen. Das war mir vorher klar, aber es ist doch nochmals etwas anderes, wenn man es tagtäglich erlebt. Und das erfordert in der Tat ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit: in Form einer kontinuierlichen Reflexion möglichst zusammen mit einem vertrauten Team, das einen begleitet, aber auch die Entwicklung angemessener Coping-Strategien, um den vielfältigen Erwartungshalten angemessen zu begegnen.

 

In Ihrer Publikation „Die Große Transformation“ geht es um nichts geringeres als den Beginn einer neuen Ära. Das klingt spannend und zugleich etwas abstrakt. Eine solche tiefgründige, große Transformation verlangt von uns eine neue Kunst: und zwar die Kunst des gesellschaftlichen Wandels. Wie greifbar ist aus Ihrer Sicht diese Transformation für die Menschen, welche Widerstände gegen notwendige Veränderungsprozesse nehmen Sie war und wie gehen Sie mit Ihnen um?

Veränderung ruft oft Ängste hervor. Sie lässt sich am leichtesten bewältigen, wenn man über hohe Selbstwirksamkeits-Erfahrungen verfügt und dadurch Veränderungen als Chance auch für die eigene Entwicklung begreifen kann. Dieses Privileg haben bei weitem nicht alle Menschen in einer vielfältigen Stadtgesellschaft. Daher ist es wichtig, dass Veränderungen greifbar werden und man sie dadurch leichter annehmen kann. Zeitlich und räumlich begrenzte Experimente sind hierfür ein Weg, gute Beteiligungsprozesse, in die man sich mit eigenen Erfahrungen und Ideen einbringen kann, das Lernen von Erfahrungen aus anderen Städten. Auf solche Ansätze greifen wir zurück, wenn wir z.B. für neue Formen der Mobilität in unserer Stadt werben.

 

Wie lassen sich Innovation und Zukunftsgestaltung mit Nachhaltigkeit in der Wirtschaft vereinbaren? Können Sie konkrete Beispiele oder Initiativen nennen die zeigen, dass (und wie) das geht?

Bei der Wirtschaft ist das Thema in meinen Augen längst angekommen. Dass es kein erfolgreiches Wirtschaften mehr gibt, ohne, dass die Randbedingungen von Klima und Nachhaltigkeit berücksichtigt werden, ist längst Common Sense in fast allen Branchen. Die Erfahrungen des Ukraine-Krieges haben das mit Blick auf die Abhängigkeit von fossilen Energien nochmals deutlich unterstrichen. Eine engagierte Nachhaltigkeitspolitik und zukunftsgewandte Unternehmensstrategien gehen daher immer mehr Hand in Hand.

In Bezug auf Politik & Stadtgesellschaft: die allermeisten Bürger:innen wollen ja eine bessere Zukunft. Aber viele sind nicht bereit für Veränderungen, beispielsweise mit Blick auf Einschränkungen in ihren Konsumgewohnheiten. In Organisationen sowie in der Gesellschaft muss es häufig zu einem Bruch oder gar zu einer Krise kommen, damit die Leute ihre Gewohnheiten verändern. Geht das auch anders? Kann man Transformation auch anders herbeiführen als durch Krisenzustände oder gar schmerzhafte Erfahrungen?

Hier liegt vermutlich eine der größten Herausforderungen: Die überwiegende Mehrheit der Menschen steht für mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit ein, aber nur ein kleiner Teil ist dafür bereit, umfassende eigene Einschränkungen in Kauf zu nehmen. In der Ukraine-Krise wurde das deutlich. Trotz des hohen Konsenses, dass wir eine möglichst schnelle Unabhängigkeit von Öl- und Gas aus Russland brauchen, war die Politik sehr zurückhaltend, der Bevölkerung irgendwelche persönliche Einschränkungen zuzumuten: Selbst unter diesen Bedingungen blieb z.B. die Diskussion über ein Tempolimit ein Tabu und wurden Autofahrer/innen flächendeckend für die gestiegenen Spritpreise kompensiert. Hier braucht es künftig vermutlich mehr politischen Mut gekoppelt mit noch mehr Beispielen des Gelingens, die zeigen, dass andere Mobilitäts- und Konsumgewohnheiten nicht nur ein Gewinn für die Gemeinschaft sondern auch für einen selber sein können.

 

Wir haben gesehen, dass die Jüngeren sich politisch engagieren und zunehmend auf die Straße gehen. Mit Bewegungen wie fridays for future geht es nicht etwa darum, ob ich auf mein nächstes Urlaubsziel verzichte um einen Beitrag zum Klima zu leisten ; gerade für die jüngere Generation geht es um eine Frage des Überlebens. Was können wir von der neuen Generation lernen, im Hinblick auf Zukunftsgestaltung?

Der Erfolg von Fridays4Future liegt in der Authentizität der Bewegung: Hier gehen diejenigen auf die Straße, die in 50-60 Jahren in einer 3-5-Grad-Welt mit allen desaströsen globalen Folgen leben müssen. Sie fordern Ihr Recht auf eine lebenswerte Zukunft ein. Das macht ihren Protest so kraftvoll. Wir älteren Generationen, die vermutlich eine der privilegiertesten Phasen der jüngeren Geschichte zwischen 1950 und 2020 in unserem eigenen Leben erlebt haben, sollten deswegen noch stärker auf die jüngere Generation hören.

 

Was bedeutet Zukunft gestalten für Sie? Welche Fertigkeiten, Fähigkeiten, Persönlichkeiten  braucht es für gesellschaftliche Transformation und Wandel?

Zukunftsgestaltung braucht Zutrauen in Menschen und in das humanitäre Potenzial, das in uns steckt: Das 21. Jahrhundert ist das erste Jahrhundert in der Menschheitsgeschichte, in dem es technologisch und ökonomisch möglich ist, dass alle auf diesem Planeten lebenden Menschen die Chance auf ein freies und würdevolles Leben haben – auch innerhalb der bestehenden ökologischen Grenzen. Sich für diese Vision täglich mit einsetzen zu können, ist ein unendliches Geschenk und sollte Zukunftskünstlerinnen und Zukunftskünstler überall auf der Welt täglich antreiben. Wenn diese dabei ihre unterschiedlichen Fähigkeiten und Ressourcen nutzen, sich intensiv vernetzen, dann hat eine zukunftsgerechte Welt eine Chance.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

Sehr gerne!

 

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