Ein Tag im Leben von…
…Nathalie Thurm, Modedesign-Managerin, Gründerin einer Beratung für Nachhaltigkeit in der Textilbranche – und Studentin im Witten MBA.
Hallo Nathalie!
Zum Einstieg fangen wir mit ein paar kurzen Fragen mit spontanen Antworten an.
O.K.
Was ist dein erster Gedanke beim Aufstehen?
Meditieren.
Also dass ich das jetzt eigentlich tun sollte (lachen). Und dass ich mir auf jeden Fall mehr Zeit dafür einräumen möchte.
Worauf freust du dich aktuell am meisten?
Darüber dass ich gerade Dinge tun kann, die mir wirklich Spaß machen.
Wenn’s stressig wird: Was ist deine Lieblings-Entspannungstechnik?
Atmen.
Wenn du ein Tier wärst, was wärst du?
Ein Pferd.
Jetzt haben wir den Einstieg geschafft. Danke dass du dir die Zeit für dieses Gespräch nimmst. Du studierst nun im zweiten Jahrgang beim Witten MBA und bringst langjährige Berufserfahrung mit. Erstmal würde mich interessieren, warum du dich für diesen MBA entschieden hast.
Ausschlaggebend war für mich der Unterschied zu anderen Programmen. Ich konnte den Eindruck gewinnen, dass in Witten ganz bewusst geschult wird, den Blick auf Dinge anders zu richten. Das bedeutet, dass wirtschaftliche Perspektiven neu betrachtet werden, sodass man sich von verfestigten Vorstellungen oder Annahmen lösen kann – über den Tellerrand hinausblickend.
Wenn du auf deine bisherige Berufspraxis zurückblickst: Ist es ein Aspekt, der dir gefehlt hat? Der Bedarf nach anderen Perspektiven?
Ja, auf jeden Fall. Das war überhaupt der Grund, warum ich mich für den MBA beworben habe.
Weil ich immer wieder an die gleichen Fragestellungen gekommen bin und mir ein paar Tools gefehlt haben, wie ich mich bestimmten Fragestellungen annähern kann. Und das waren zum einen wirtschaftliche Fragen, aber besonders auch strategische Fragen.
Ich wollte mich mit diesen Fragen auseinandersetzen um zu verstehen, wie es möglich wäre bestimmte Themen anders zu lösen. Um vielleicht dann auch selbst einen Beitrag leisten zu können.
Und dann habe ich mich mit dem Thema MBA auseinandergesetzt, und so bin ich irgendwann bei Witten gelandet. Im Fokus stand die Möglichkeit, neue Perspektiven zu entwickeln; das war für mich entscheidend.
Zu deiner Berufstätigkeit. Kannst du aus deinem bisherigen Beruf erzählen: wie sieht dein typischer Büro-Alltag aus?
Aktuell?
Ich mach mich gerade selbständig.
Ich hatte mitbekommen, dass bei dir gerade eine berufliche Neuorientierung in Gange ist… Bis vor kurzem warst du noch bei einer großen Firma berufstätig. Gab es bereits vor dem MBA ein solches Projektvorhaben?
Mir wurde langsam bewusst, dass ich neue Sichtweisen für meinen Beruf brauchte.
Aber als ich mit dem Witten MBA angefangen hab, ist mir klar geworden, dass ich gewisse Dinge anders tun möchte oder nicht mehr hinnehmen kann.
Daraus ist der Mut entstanden, dass ich mit meinem Wissen und meiner Erfahrung etwas anderes machen könnte. Etwas eigenes machen könnte. Und da habe ich mich mit ehemaligen Kollegen zusammengetan. Wir haben eine Beratung gegründet, die bald online geht.
Es geht darum, dass wir gezielt Unternehmen darin begleiten, ihren Zugang zu Nachhaltigkeit zu finden. Und zwar nicht nur strukturell, sondern auch aus einer inneren Haltung heraus. Wir glauben, dass es essentiell ist, aus innen heraus einen Weg zu finden, das Thema zu bearbeiten.
Wie hast du erkannt, dass es für dich der richtige Zeitpunkt war? Gab es einen Auslöser, oder ein inneres Bedürfnis?
Ich wollte mich eigentlich nie selbstständig machen!
Und auf einmal war für mich ganz klar, dass jetzt der richtige Zeitpunkt war. Einfach auch weil es mir Spaß macht, mein Wissen und meine Erfahrung mit anderen zu teilen. Irgendwie fand ich diesen Gedanken viel wertvoller, dass ich anderen Menschen helfen kann, ähnliche Fragen zu beantworten.
Ich habe elf Jahre lang in einem großen Mode-Unternehmen gearbeitet und war sehr nah an der Kollektions-Entwicklung und im Kontakt mit den Lieferanten.
Ich habe intensiv miterlebt, wie Entscheidungen getroffen werden und wie dadurch strukturelle Probleme entstehen, die aber aus meiner Perspektive lösbar sind.
Typische Themen sind: Kurze Lieferzeiten, Zeitdruck… Ein großes Thema. Mit vielen Zielkonflikten.
Und da hast du festgestellt: Es wäre möglich, das anders zu gestalten?
Ja absolut. Man muss es auch wagen, Dinge anders zu machen. Wenn man das nicht will oder wenn die Strukturen so verfestigt sind, ist es natürlich schwer. Aber: Die gesamte Branche steht gerade vor einem extremen Wandel.
Daher glaube ich, dass es der beste Zeitpunkt ist, es jetzt zu tun. Und jetzt möchte ich für die da sein, die auch etwas verändern möchten aber nicht wissen, wie.
Du bist im Laufe des MBA-Studiums in Witten mit dem ZNU in Kontakt gewesen. In wie weit war das entscheidend für den Schritt in die Selbständigkeit?
Meine Selbstständigkeit ging dem schon voraus. Dennoch passte das alles sehr gut zusammen.
Als ich das Modul Nachhaltigkeitsmanager bei Christian und Axel gemacht habe fand ich es ganz spannend, dass sie sich ganz gezielt eben mit den Themen auseinandersetzen, die mich sehr bewegen.
Und bereits im Modul habe ich gemerkt, dass ich mir sehr schnell Gedanken hierzu gemacht habe, wie das für die Textilbranche funktionieren könnte. Dann sind wir über mehreren Monate im Austausch geblieben.
Irgendwann kam die Idee, gemeinsam zu schauen, wie ganzheitliche Nachhaltigkeit in der Textilbranche funktionieren könnte und was das ZNU dafür leisten könnte. Das ZNU arbeitet ja wissenschaftlich basiert.
Es ging darum zu schauen, wie die bisherigen Erkenntnisse in der Textilbranche um den ganzheitlichen Kontext zielführender erweitert werden könnten.
Weil — es ist schon ganz viel Wissen vorhanden.
Wie sieht deine Zusammenarbeit mit dem ZNU aus?
Es ist ein Forschungsauftrag für die Textilbranche. Die Studie beschäftigt sich intensiver mit den Rahmenbedingungen für nachhaltigen Wandel und versucht zu schauen, warum es trotz vieler Siegel und Zertifizierungen und Initiativen immer noch nicht so richtig in die Umsetzung kommt, sodass wirksame Veränderungen entstehen können.
Mittlerweile gibt es viele kleine Labels, eine Fair Fashion Week… Auf der anderen Seite werden wir mit dem Thema Fast Fashion konfrontiert. Dadurch wird allen bewusst, dass das ganze System an die eigenen Grenzen kommt. Aber dazwischen – zwischen Kleinunternehmertum und Industrie: Welche Lösungen könnten sich anbahnen?
Ja, genau darum geht es: zu schauen, was es jetzt eigentlich braucht. Mit dem ZNU geht das nur im ganzheitlichen Kontext. Was absolut richtig ist. Denn der Bezug ist immer auf ökonomischer, sozialer und ökologischer Ebene. So wird ganz schnell klar: Siegel alleine reichen nicht aus.
Oft wissen Unternehmen nicht genau, wie sie vorgehen sollen: Es gibt Siegel für Rohstoffe, Siegel für soziale und faire Arbeitsbedingungen und viele weitere Betrachtungen.
Aber wenn ich ein nachhaltiges Unternehmen sein will – was definiert ein nachhaltiges Unternehmen an sich genau? Wo beginnt das, wo endet das. Oder eigentlich endet das nie! Nachhaltigkeit ein Prozess, ein Wandel. Und somit muss auch Unternehmertum anders gedacht werden.
Der Wandel, dem die Branche unterliegt, kann als Chance dienen, die Vergangenheit radikal zu hinterfragen. Wir müssen nicht alles von jetzt auf gleich radikal anders machen. Aber wir sollten zumindest den Mut haben, es radikal zu hinterfragen.
Was bedeutet das konkret: Müssen sich die Hersteller oder die Konsumenten selbst hinterfragen?
Wenn ich es persönlich entscheiden könnte würde ich sagen, liegt die Antwort im „Wir“.
Die Produktion in der Textilbranche ist unheimlich komplex. Es bestehen viele Abhängigkeiten untereinander, weil sehr viele Lieferanten und Produzenten involviert sind. Und es ist bewiesen, dass die Produktion von Textilien oft in Ländern stattfindet, in denen fairen und sozialen Arbeitsbedingungen nicht ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt wird. Das heisst: Es herrschen nach wie vor Bedingungen, die die Ausbeutung von Arbeitenden fördern und die Gesundheit der Menschen vor Ort gefährden.
Aber zudem ist die Textilbranche so wie sie jetzt ist, durch die hohen Produktionsvolumen, nicht umweltverträglich. Sie ist es nicht – in der Masse. Sie ist sehr energie- und ressourcenintensiv. Und zudem ist immer noch der Einsatz einer Vielzahl an Chemikalien notwendig, die ins Abwasser gelangen können und damit auf die Umwelt einwirken.
Und wenn wir uns diese Sachen nur leisten können, weil andere dafür nichts kriegen, dann haben wir ein Problem. Dann ist es nicht richtig.
Wenn wir also weiter in einem Selbstverständnis wirtschaften, diesen Sachverhalt als eine Grundlage für ökonomische Stabilität anzuerkennen, dann müssen wir nach Lösungen suchen, die es uns erlauben das bisherige System zu verlassen. Um eine Wertschöpfung herzustellen, die auch die Ansprüche der Arbeitenden in den Produktionsländern an ihr Leben und ihre Heimat respektiert, kann die Lösung nur im „Wir“ liegen.
Zu den Zertifikaten, zum Beispiel GOTS: Du meinst, das ist nur ein Teil, also – wenn überhaupt, nur ein Teil der Lösung…
Ja. Es ist insofern nur ein Teil der Lösung, weil: wenn du als Unternehmen ein Produkt GOTS Zertifizieren lässt, macht es in erster Linie eine Aussage über das Produkt.
Aber es sagt sonst nichts über die ganzheitlichen Aktivitäten eines Unternehmen aus; noch darüber, wie du generell Verantwortung für dein Business übernimmst.
Eine Zertifizierung, besonders eine wie GOTS ist schon ein deutlicher Indikator dafür, dass eine Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit besteht. Dennoch dürfen Unternehmen mit Nachhaltigkeitslabeln ihre Verantwortung nicht abgeben.
Wenn man sich beispielsweise die FSC-Zertifizierung anschaut, ist ein solcher Siegel mitsamt Auditing sehr bindend für international tätige Unternehmen. Das was Dir vorschwebt erscheint viel umfangreicher – da müsste man geradezu die gesamte Kette neu definieren… mitsamt Unternehmenszielen und Unternehmenskultur?
Ich glaube in der Tat, dass es an erster Stelle um einen Kulturwandel geht – notwendiger weise. Denn die Grenzen, in der Art wie wir wirtschaften, werden langsam erreicht.
Daher glaube ich, dass besonders für kleinere und mittlere Unternehmen Nachhaltigkeit für ihre Zukunftsfähigkeit von großer Bedeutung ist. Denn selbst wenn man annehmen sollte, dass man sich von den Arbeitsbedingungen und ökologischen Auswirkungen in der Textilbranche unberührt fühlt, dann bleiben immer noch gravierende Auswirkungen bestehen, die auch unmittelbar in unseren Wirkungskreis eintreffen werden. Schwindende Ressourcen und die extreme Produktion von textilem Abfall durch nicht verkaufte Waren sind nur einige davon…
Großkonzerne der Modebranche scheinen in diesem Dilemma zu stecken. H&M hat ein eigenes Label für Fair Fashion ins Leben gerufen… Ist es ein möglicher Lösungsansatz? Oder geht das nicht weit genug?
Es ist unzureichend. Also – erstmal ist es gut. Klar kann man auf der einen Seite sagen: Es ist nur Marketing.
Glaube ich aber nicht. Ich glaube schon, dass da eine wahre Intention ist, nachhaltiger mit dem Warenfluss umzugehen. Aber ich glaube, dass zwangsläufig nur Teilbereiche damit abgedeckt sind.
Zumal, in einem Konzern mit solchen Produktionsvolumen nachhaltiges Wirtschaften aus meiner Perspektive nicht möglich ist. Das Prinzip von Fast Fashion ist ein anderes. Niemand würde sagen, er gehe dorthin um qualitative und langlebige Ware zu erhalten. Hier geht es primär um einen modernen und schnelllebigen Look. Die Looks inspirieren durch Zeitgeistigkeit und dem Spaß an der Mode.
Wobei wir hier wieder bei der Eigenverantwortung auf Verbraucher-Seite wären: Was kann man als Konsument tun?
Die Antwort liegt in jedem ein bisschen selbst. Es macht Sinn, sich mit seinem eigenen Konsumverhalten auseinanderzusetzen. Also ein ähnlicher Denkprozess wie im Unternehmen.
Kleidung ist etwas Wundervolles. Mode ist ein großer Teil unsers Selbstausdrucks und unserer Individualität. Und es wäre schade, wenn wir das nicht erhalten könnten. Es hat sich jetzt gezeigt, dass Fast Fashion nicht der richtige Zugang ist. Aber es gibt ja bereits schon viele Lösungen wie Second Hand, Mieten, Abändern, die zumindest schon einmal eine echte Alternative bieten, anstatt ständig neue Kleidung zu kaufen.
Sehr spannend! Wie lange dauert der Forschungsauftrag für das ZNU?
Sechs Monate.
Was nimmst du sonst noch mit aus dem Witten MBA?
Ich nehme viel durch den Austausch untereinander mit: Mit den Dozenten aber auch durch den intensiven Austausch mit den anderen Studierenden.
Das Besondere ist, dass es jedes Semester darauf ankommt, den Kreis immer wieder zu öffnen. Wir haben mit Philosophie & Führung angefangen. Mit jedem anderen Fach was dazu kommt, kann ich meine Perspektiven weiter erweitern. Die Fächer bauen inhaltlich stark aufeinander auf, so dass man je nach Schwerpunkt seine Vertiefung mit den Erkenntnissen aus dem gesamten Studiengang ausarbeiten kann. Das gefällt mir sehr gut.
Abschließend: Was heisst für dich Zukunft gestalten?
Handeln und mitwirken. Positiv denken!
Ein schönes Schlusswort! Vielen Dank liebe Nathalie, das war ein sehr spannendes Gespräch.
Danke dir!